Martin K.
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Auch wenn die niedrigen Steinkreuze an einen Soldatenfriedhof erinnern, liegen hier keine gefallenen Soldaten, sondern die Opfer des wahnwitzigen Versuchs, in den letzten Kriegsmonaten Öl aus den Schiefervorkommen am Fuße der Schwäbishen Alb herauszupressen. Über 3480 tote Zwangsarbeiter verscharrte die SS am Rande der 10 Produktionsanlagen des „Unternehmen Wüste“ entlang der Bahnlinie zwischen Tübingen und Rottweil. Als die französische Armee die Massengräber 1946 entdeckte, verfuhr sie wenig zimperlich. Die einheimische Bevölkerung, vor allem NS-Funktionäre aus dem Internierungslager Reutlingen, wurden gezwungen, die Toten zu exhumieren und umzubetten auf die Friedhöfe Bisingen, Schömberg und Schörzingen. Die Identität der Toten konnte nicht mehr festgestellt werden. Auf dem Bisinger Friedhof liegen 1158 namenlose Opfer. Jedes Grab erhielt ursprünglich ein Holzkreuz. Die wenigen Steinkreuze wurden erst später gesetzt, als die Holzkreuze zerfielen. Der Focus der Gedenkstätten liegt heute auf den KZ. Die waren aber damals nur Mittel zum Zweck, Baracken-Anhängsel der riesigen „Wüste“-Werke, auf denen täglich Hunderte von Zwangsarbeitern und Häftlingen eingesetzt wurden. In Bisingen wurde eine Wasserleitung quer durch den Ort ins „Kuhloch“ gelegt. Niemand konnte das übersehen, allerdings gehörten Zwangsarbeiter und Häftlinge seit 1940 zum NS-Alltag. Generalunternehmer für die Bauarbeiten waren die Deutsche Bergwerks- und Hüttenbau GmbH (DBHG), die für die maschinelle und apparative Ausstattung zuständig war, und die Organisation Todt, die für die bergbaulichen und sonstigen Baumaßnahmen, vor allem für den Bau der 7 Häftlingslager für rund 10 000 Häftlinge, zuständig war. Für billige Arbeitskräfte sorgte die SS, die auch die Wachmannschaften stellte. Das war ein profitables Geschäft, denn die Tagesmiete pro Häftling lag zwischen 4 und 6 RM. 40 Millionen Reichsmark wurden ins Schieferöl investiert, was zur viel zu selten gestellten Frage führt: wohin floss das Geld? Wer verdiente am Bau der Produktionsanlagen? Die Verträge und Verhandlungsunterlagen mit regionalen Baufirmen liegen im Staatsarchiv Sigmaringen. Das Öl, das tatsächlich floss, kann man ökonomisch getrost vernachlässigen. Bis Kriegsende waren es etwa 1500 Tonnen, das nur in speziellen Motoren verbrannt werden konnte.